ÜBERFORDERUNG IST SUBJEKTIV UND KANN NICHT VERALLGEMEINERT WERDEN.
Ein Blick hinter die individuellen Kulissen lohnt sich, denn eine Sortierung von äußeren und inneren Stressverstärkern ist der erste Schritt, um dem Stress auf die Spur zu kommen. Wo verhindern unsere eigenen Denkmuster eine Veränderung, wie können wir aber mit unserem Tun etwas bewirken und unsere Stärken sinnvoll einsetzen?
Ich bin total gestresst. Wir hören und äußern den Satz regelmäßig und häufig verbinden wir damit die Vorstellung, dass gerade übermäßig viel zu tun ist, möglicherweise ein Abgabetermin im Raum steht und ein Vorgesetzter, der fragt: „Wann sind Sie damit fertig?“ Zugegeben, diese Situation ist von einer entspannten Arbeitsatmosphäre auf den ersten Blick weit entfernt und ein gängiges Beispiel dafür, dass Stress von außen kommt: zu viel Arbeit, zu wenig Zeit, zu wenig Unterstützung, zu wenig Verständnis …
Allzu gerne neigen wir dazu, gerade äußeren Stressoren (Stressverstärker) hilflos gegenüberzustehen. Die Fähigkeiten Selbstmanagement und Selbstwirksamkeit weichen dem Stress, der es sich bequem macht und erst einmal gekommen ist, um zu bleiben. Manchmal liefert die Aussage „Stress!“ sogar ein kleines Trostpflaster, denn damit schwingen vor allem im Arbeitsleben auch oft Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit mit.
Stress ist also nicht gleich Stress, gerade weil das Wort in aller Munde ist und häufig leger verwendet wird. Kurz gesagt: Stress bedeutet nicht, viel Arbeit zu haben. Von Stress sprechen wir dann, wenn die Balance zwischen Arbeit, Belastung und Anforderung einerseits und Entspannung andererseits über einen längeren Zeitraum nicht ausgewogen ist und wir körperlich und/oder psychisch darauf reagieren.
Ich gerate in Stress, wenn …
- mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen sind,
- mein Kollege im Büro laute Telefonate führt,
- die Klimaanlage einem Kühlschrank gleicht,
- durch neue Priorisierungen mein Zeitplan nicht einzuhalten ist,
- Meetings schlecht vorbereitet sind,
- der Tag mit Parkplatzsuche beginnt,
- Verabredungen/Termine nicht eingehalten werden
- u. v. m.
Wollen wir unseren Stress reduzieren, ist es notwendig, ihn zunächst zu lokalisieren. Diese Fragestellung zielt auf unsere äußeren Stressfaktoren ab. Ich bin mir sicher, Sie finden viele weitere Beispiele, denn Sie selbst kennen sich am besten. Doch auch wenn wir von äußeren Einflussfaktoren sprechen, entscheiden wir selbst, welchen Spielraum wir diesen Faktoren geben. Durch die Überarbeitung des eigenen Zeitmanagements setzen wir künftig vielleicht neue Prioritäten, planen Pufferzeiten ein und sprechen klar aus, dass die ungeplante Aufgabe eine andere Aufgabenverteilung erforderlich macht. Werden regelmäßig Termine nicht eingehalten oder Meetings nicht vorbereitet, liegt es an uns, unsere sozial kommunikative Kompetenz zu schärfen und die stressfördernden Zustände lösungsorientiert anzusprechen. Wir steigern unsere Stresskompetenz, indem wir nicht nur unser Selbst- und Zeitmanagement stärken, sondern auch die Selbstbehauptung, also unsere Fähigkeit, eigene Interessen angemessen zu vertreten. Grenzen zu setzen und Netzwerke aufzubauen oder zu pflegen, gehört hier ebenso dazu wie die Tatsache, dass das Lernen ein lebensbegleitender Prozess ist.
Möglicherweise haben Sie nach diesen Zeilen das Bild von mühsamer Arbeit vor Augen. Sie können entspannen, denn es ist äußerst wahrscheinlich, dass Sie bereits viele stressige Situationen in Ihrem Leben nicht nur überstanden, sondern auch gut gemeistert haben. Rufen Sie sich diese Situationen wieder ins Gedächtnis und stellen Sie fest, auf welche bewährten Strategien der Stressbewältigung Sie eigentlich ganz automatisch zurückgreifen. Machen Sie sich diese Strategien bewusst!
Unsere inneren Stressverstärker werden zwar auch von äußeren Faktoren getriggert, ihr Ursprung schlummert jedoch in uns. Durch unsere Denkmuster, unsere Überzeugungen, Bewertungen oder Glaubenssätze laufen meist unbewusst Prozesse ab, die uns ganz schön antreiben können. Ein Beispiel: Bei manchen Menschen ist der Anspruch, alles bestens machen zu wollen, sehr stark ausgeprägt. Der eigene perfektionistische Anspruch korreliert direkt mit dem Selbstwert, die erbrachte Leistung mit dem Wohlbefinden. Allein die Vorstellung, einen Fehler machen zu können, kann Betroffene in Alarmbereitschaft versetzen. Droht in dieser Situation eine unvorhergesehene Aufgabe, die aus rein zeitlichen Gründen Perfektionsstreben nicht zulässt, wird das Stressniveau weiter steigen. Es wäre wahrscheinlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein, an dieser Stelle am eigenen Zeitmanagement zu drehen.
Bleiben wir noch bei unseren inneren Antreibern. Wir alle tragen sie mehr oder weniger ausgeprägt in uns. Zum Stressverstärker werden sie dann, wenn die Antreiber unser Handeln fest im Griff haben, damit wir ihnen gerecht werden. Neben „Sei perfekt!“ ist ein weiterer „Sei beliebt!“. Im Hintergrund steht der Wunsch nach Zugehörigkeit und Liebe. Diese Grundbedürfnisse betreffen alle Menschen, sie werden jedoch zur Stressfalle, wenn alles unternommen wird, um dieses Bedürfnis ständig zu nähren. Konflikte werden vermieden, eigene Interessen zurückgestellt und keine Grenzen gesetzt. Es allen recht zu machen, lautet der eingeschlagene Weg, der nach und nach jedoch von Stress überschattet wird. „Sei unabhängig!“ lautet ein weiterer solcher Antreiber, der in seiner stressverschärfenden Version die Selbstbestimmung so weit vorantreibt, dass weder die Unterstützung von anderen eine Option ist noch das Eingestehen eigener Schwächen. Das Autonomiestreben steht an vorderster Front, begleitet von der Vermittlung von Unabhängigkeit, die im Widerspruch zu Vertrauen und Teamarbeit steht.
Es gibt noch weitere innere Antreiber, die uns bei starker Ausprägung in eine bestimmte Richtung drängen möchten. Wenn wir sie allerdings kennen und beim Namen nennen, finden wir leichter die Möglichkeit, sie abzuschwächen und uns zunutze zu machen, denn hinter jedem Antreiber steckt grundsätzlich eine gute Absicht. Der Grad der eigenen Ausprägung definiert hier die Richtung. Falls Sie selbst noch keine Vermutung haben, wie es um Ihre Antreiber bestellt ist: Im Internet finden Sie auch geeignete Selbsttests. Für die mentale Stresskompetenz brauchen wir Ansätze, die uns die notwendige emotionale Distanzierung verschaffen:
- Glaubenssätze realisieren und bewusst umwandeln. Aus „Sei perfekt!“ wird zum Beispiel „Auch ich darf Fehler machen!“
- Groß denken: Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf negative Konsequenzen, stärken wir damit ein Mangeldenken und die Stressspirale. Die Ausrichtung auf Erfolg gekoppelt mit vergangenen positiven Erfahrungen kann hier gegenwirken: Wie wird es sein, wenn ich die Anforderungen erfolgreich bewältigt habe? Wie werde ich mich dann fühlen? Was werde ich danach tun? Halten Sie sich diese Situationen immer wieder vor Augen.
- Umgekehrt entlastet auch das Entkatastrophieren: Was würde schlimmstenfalls geschehen? Wie schlimm wäre das wirklich? Wie wahrscheinlich ist das? Denkt man diese Fragestellungen konsequent fertig, stellt sich häufig heraus, dass schlimmste Befürchtungen äußerst unrealistisch sind.
- Selbstwertstärkung: Wir alle haben unsere Stärken und dennoch machen wir sie uns so selten bewusst. Ändern Sie das und stärken Sie Ihren Selbstwert mit folgenden Fragen: Welche schwierigen Situationen habe ich in meinem Leben bereits gemeistert? Worauf bin ich besonders stolz? Welche Stärken habe ich dadurch unter Beweis gestellt? Welche Attribute waren dafür erforderlich?
- „Ich bin nicht meine Gedanken“: Gedanken sind keine Tatsachen, wir müssen sie nicht einmal glauben. Dagegen anzukämpfen fällt dennoch schwer. Wenn wir sie hingegen nur beobachten, können wir eine Denkspirale durchbrechen und schaffen die notwendige Distanz: „Interessant, im Moment habe ich den Gedanken, nichts richtig zu machen.“
Neben den inneren und äußeren Stressfaktoren gibt es noch eine dritte Ebene, die dabei hilft, unser Stressgeschehen zu analysieren: die Stressreaktionen (Prof. Dr. Gert Kaluza, psychologischer Psychotherapeut, spricht hier von der „Stress-Ampel“, Buchempfehlung: „Gelassen und sicher im Stress“). Wie reagiere ich, wenn ich unter Stress stehe? Bekomme ich feuchte Hände, werde ich unkonzentriert oder aggressiv? Kommen Gedanken der Angst oder des Ärgers und der Wut hoch? Stehen Selbstvorwürfe und grüblerische Gedanken im Weg? Auch für diese Ebene brauchen wir zunächst die Selbstbeobachtung, um die sogenannte regenerative Stresskompetenz zu stärken. Regelmäßige Pausen, Entspannungstraining, Sport und Bewegung sind nur einige Beispiele, die uns – am besten präventiv –, abgestimmt auf die eigenen Ziele und Ressourcen, in Balance bringen.